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24.07.2023

Kapitel 4: Bezahlbarer und lebenswerter Wohnraum in Stadt und Land

Unser Ziel ist, dass alle Menschen in Hessen angemessenen und bezahlbaren Wohnraum finden. Wohnen als Teil der Daseinsvorsorge darf nicht allein dem Markt überlassen werden. Deshalb wollen wir wieder mehr Wohnraum in die öffentliche Hand bringen und dort halten. Mangel an bedarfsgerechtem Wohnraum gibt es in besonderem Maße in Ballungsräumen, während es im ländlichen Raum häufig an barrierearmen Wohnquartieren für Menschen in den unterschiedlichen Lebensphasen fehlt oder der vorhandene Wohnraum bedarfsgerecht umgestaltet werden muss. Wir brauchen Wohnungen, die sich auch alle leisten können. Gleichzeitig dürfen wir die Fehler und Bausünden der Vergangenheit nicht wiederholen. Es geht darum, lebenswerte, sozial vielfältige Quartiere im Einklang mit Klima- und Umweltschutz zu realisieren. Die Lebens- und Aufenthaltsqualität vor Ort ist dabei ebenso entscheidend wie angepasste Mobilitätskonzepte, fußgänger*innen- und fahrradfreundliche Infrastruktur und ein Lebensumfeld, das Familien Raum zur Entfaltung gibt.

Klimaschutz- und Energiefragen sind eng mit unseren Wohnungen und Gebäuden verknüpft. Energetisch sanierte Gebäude sind gut zum Erreichen der Klimaziele und für die Bezahlbarkeit der Nebenkosten. Daher unterstützen wir deren bedarfsgerechte Sanierung. Heute getroffene Regelungen und heute zielgerichtet investiertes Geld bedeuten Schutz und Erhalt von Lebensqualität in klimaresilienten Quartieren von morgen. Sowohl beim Neubau als auch bei der Sanierung haben wir die Klimaziele fest im Blick. Was heute gebaut wird, muss die Energie- und Mobilitätsfragen von morgen beantworten. Neue Wohnungen sollen so energieeffizient wie möglich sein. Unsere Wohnungsbaugesellschaften gehen dabei als Vorbild voran. Nachhaltigkeit beim Wohnen heißt auch barrierefrei und mit regionalen sowie kreislauffähigen Baustoffen zu bauen sowie die Wiederentdeckung des Bauens mit Holz oder den modernen Holzstrohbau zu fördern. Wir gehen schonend mit den Ressourcen um. Daher legen wir einen Schwerpunkt auf Sanierung und die Weiterentwicklung bestehender Quartiere.

Wir haben schon einiges erreicht. Durch unsere Arbeit in der Landesregierung ist Hessen eines der wenigen Bundesländer, in denen die Zahl der Sozialwohnungen wieder steigt. Insgesamt 2,7 Milliarden Euro wurden für den Zeitraum von 2019 bis 2024 für die Förderung des Baus von bezahlbarem Wohnraum zur Verfügung gestellt. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Nassauische Heimstätte | Wohnstadt haben wir durch Kapitalerhöhungen gestärkt, sodass sie ihr Wohnungsangebot deutlich ausweiten konnte. Mit dem Programm „Großer Frankfurter Bogen“ haben wir die Wohnungsentwicklung im Ballungsraum vorangebracht und mit der Anbindung an den ÖPNV verknüpft. Wir haben die Fehlbelegungsabgabe wiedereingeführt und die Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen erschwert. Mit neuen Ideen bei der Förderung gemeinschaftlichen Wohnens, der Entwicklung der Innenstädte sowie der Allianz für Wohnen haben wir weitere Bausteine für bezahlbaren und lebenswerten Wohnraum verwirklicht.

Das war erst der Anfang. Unser Land braucht mehr. Mehr Mut, die notwendigen Veränderungen anzugehen. Mehr Willen, diese Herausforderungen zu gestalten. Mehr Verantwortung, diesen Weg für alle fair und gerecht zu beschreiten. Gehen wir gemeinsam den nächsten Schritt.


Mehr Wohnraum schaffen, sozialen Wohnungsbau ausweiten
Bauen muss bezahlbar bleiben, damit Wohnen für alle in Hessen erschwinglich wird. Landeseigene Flächen sollen vorwiegend im Erbbaurecht vergeben oder den Kommunen vergünstigt bereitgestellt werden. Wir werden erneut ein Landesprogramm in Höhe von 2 Milliarden Euro auflegen, um den Wohnungsbau zu fördern und ökologisch auszurichten. Dabei werden wir die Förderkriterien neu justieren, um u. a. auf die steigenden Bauzinsen zu reagieren. Wir richten unsere Wohnraumförderung noch gezielter auf Menschen aus, die es besonders schwer haben, eine geeignete Wohnung zu finden – dazu gehört auch rollstuhlgerechter Wohnraum. Wir treffen mit der Wohnungswirtschaft verbindliche Vereinbarungen, um den Anteil der rollstuhlgerechten Wohnnungen zu steigern und bedarfsorientiert auszubauen.

In Hessen soll es weiterhin Jahr für Jahr mehr Sozialwohnungen geben. Damit unterstützen wir die Kommunen auch bei der Unterbringung von Geflüchteten oder von Menschen, denen Obdachlosigkeit droht. Die 2023 aufgenommene Wohnraumförderung für Auszubildende wollen wir weiter ausbauen und langfristig alle in Ausbildung befindlichen Menschen damit erreichen. Auch den Bau von bezahlbarem Wohnraum für Studierende wollen wir stärker fördern. Wir setzen uns dafür ein, die Sozialbindung bei gefördertem Wohnraum zu verlängern und die vorzeitige Ablösung zu erschweren. Langfristig können wir uns das Prinzip „Einmal Sozialwohnung – immer Sozialwohnung“ vorstellen und wollen deshalb 10.000 Mietwohnungen mit einer Sozialbindung von 50 Jahren schaffen. Um ihrer Vorbildfunktion als öffentliches Wohnungsunternehmen gerecht zu werden, soll bei der Nassauischen Heimstätte die Begrenzung der jährlichen Mietsteigerung für Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen fortgesetzt werden.

Wir wollen den Wohnungsbestand sichern und deshalb die Wohnraumzweckentfremdung begrenzen. Wohnraum soll zum dauerhaften Wohnen dienen, nicht leer stehen oder vernichtet werden, nicht als Büro oder dauerhaft als Ferienwohnung verwendet werden. Dafür schaffen wir (wie z. B. Bayern, Baden-Württemberg) ein Wohnraumzweckentfremdungsgesetz, das den Gemeinden die (Rechts-)Grundlage zum Handeln gibt.

Wir wollen sicherstellen, dass Leerstände systematisch erfasst werden können und die Umwandlung von Wohnraum unter Genehmigungsvorbehalt gestellt werden kann. Dabei sollen auch die Leerstände von geeigneten Büroflächen erfasst und eine eventuelle Umwandlung in Wohnraum geprüft werden. Auch der Ankauf von größeren Wohnungsbeständen großer Wohnbauunternehmen stellt für uns eine Möglichkeit dar, um die Zahl an landeseigenen Wohnungen zu erhöhen.

Wir wollen die Möglichkeiten der Baukostensenkung durch serielles Bauen nutzen und prüfen, ob die Einführung des Gebäudetyps einfacheres und zugleich experimentelleres Bauen zulässt.

Wohnen ist ein Grundrecht. Wir wollen im Blick behalten, dass Mieter*innen nicht durch unverhältnismäßige Mieterhöhungen überfordert werden, und für Transparenz bei den Nebenkostenabrechnungen sorgen. Zusätzlich zu unseren landespolitischen Anstrengungen benötigen wir auch bundesgesetzliche Maßnahmen für einen effektiven Mieter*innenschutz. Dazu gehören eine Novellierung des Mietrechts, eine effektivere Mietpreisbremse und eine Absenkung der Kappungsgrenzen in angespannten Wohnungsmärkten.


Klimaschutz und Biodiversität auch beim Bauen und Wohnen
Der Wohnungsbestand im Besitz der öffentlichen Hand soll zum Vorbild für zügige energetische Sanierung mit dem Ziel Klimaneutralität werden. Dieses Ziel erfordert auch beim Bauen, Sanieren, bei Erhalt und Nutzung von Gebäuden erhebliche Anstrengungen. Dazu wollen wir die Wärmewende mit mehr Beratung und Förderung voranbringen, aber auch rechtliche Hürden z. B. im Bereich der Bauordnung absenken und Konflikte mit dem Denkmalschutz ausräumen. Mit einer Ausbauoffensive für Solarenergie, dem Ausbau der Netze und von Speicherstrukturen schaffen wir die Voraussetzungen für mehr Unabhängigkeit von Gas und Öl.

Eine Wärmeplanung für die Kommunen unterstützt angepasste Quartierslösungen vor Ort und schafft Versorgungssicherheit. Mit Beratungsangeboten und zielgenauer Förderung unterstützen wir auch kleinere Kommunen dabei, den ländlichen Raum als attraktiven Lebens- und Wirtschaftsraum zu gestalten.

Der steigenden Zahl von Hitzesommern wollen wir durch angepasste und innovative Hitzeschutzmaßnahmen entgegenwirken. Mit der Durchgrünung von städtischen Wohnquartieren wollen wir den Hitzesommern mehr Aufenthaltsqualität entgegensetzen und Raum für mehr Biodiversität schaffen. Innenverdichtung darf nicht zu immer weniger Freiraum und zum drastischen Verlust von Bäumen führen. Um das Grün in den Städten und Dörfern langfristig erhalten zu können, werden wir die Kommunen mit Umsetzungsstrategien bei der Regenwasserspeicherung unterstützen, damit das Ziel „Schwammstadt“ erreicht werden kann.

Im Sinne des vorsorgenden Umweltschutzes schaffen wir Sicherheit in unseren Städten und Dörfern durch vorausschauende Planung, die Hochwasser und Starkregenereignisse berücksichtigt.


Neue Wohnformen unterstützen
Eine sich wandelnde Gesellschaft verlangt nach alternativen Wohnkonzepten. Dazu gehört auch die Förderung von gemeinwohlorientierten Wohnformen, die wir gezielt mit einem eigenen Förderprogramm unterstützen wollen. Wir unterstützen Initiativen für gemeinschaftliches und genossenschaftliches Wohnen und altersgemischte Wohnquartiere, um auch älteren Menschen oder Menschen mit Behinderungen ein möglichst selbstständiges Leben in vertrauter Umgebung zu ermöglichen. Wir wollen sozial gut durchmischte Quartiere erhalten und fördern, in denen auch die benötigte soziale Infrastruktur vorhanden ist. Die neu geschaffene Landesberatungsstelle gemeinschaftliches Wohnen in Hessen wollen wir dauerhaft erhalten.

Das Modell „Wohnen für Hilfe“ bietet älteren oder kranken Menschen als Vermieter*innen die Chance, weiter in ihren eigenen vier Wänden zu leben, während die andere Seite als Mieter*innen von geringen Mieten profitiert. Wir wollen dieses Modell stärken, indem wir uns auf Bundes- und Landesebene für den Wegfall steuerlicher Hürden einsetzen.

Die fortschreitende Digitalisierung ermöglicht neue Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten in unseren ländlichen Regionen und entlastet die Ballungsräume. Co-Working-Spaces auch in kleineren Gemeinden ermöglichen es, Wohnen und Arbeiten näher zusammenzubringen. Wir denken attraktives Wohnen hessenweit und schaffen neuen Wohnraum, der von modularem Bauen profitiert und ohne ausufernde Flächenversiegelung auskommt.


Kommunale Beratung ausbauen, Akteur*innen vernetzen
Wir wollen neue Dialog- und Beratungsangebote als weitere Bausteine zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land ausbauen und unterstützen im ländlichen Raum Initiativen zur Stärkung der Ortskerne. Wir bieten den Kommunen Unterstützung bei der Digitalisierung des Bauwesens an und wollen sie durch eine Offensive für mehr Fachpersonal auf den Bauämtern unterstützen, ihre Aufgaben im Bereich Klimaschutz und Klimaanpassung, Planung, Bauqualität und Denkmalschutz schneller zu erledigen. Um dem gegenwärtig hohen Flächenverbrauch bei der Schaffung von Wohnraum entgegenzuwirken, unterstützen wir die Nutzung innerörtlicher Entwicklungsräume. Wir fördern die Implementierung von kommunalen Beratungsstellen, die Unterstützung bieten und Anreize schaffen für das Sanieren und Ausbauen von Bestandsgebäuden. Modellprojekte wie die interkommunale energetische Quartierssanierung im Werra-Meißner-Kreis wollen wir auf andere Regionen übertragen. Wir wollen die Allianz für Wohnen in Hessen verstetigen. Damit vernetzen wir die vielfältigen Akteur*innen im Bereich der Wohnungspolitik. Dies sind neben den kommunalen Spitzenverbänden und den beteiligten Ministerien die Verbände der Wohnungswirtschaft, die Kammern, der Mieterbund, weitere Interessenverbände sowie die Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen. Dadurch ermöglichen wir zügige weitere Investitionen in den Wohnungsbau und die nachhaltige Umgestaltung von Wohnquartieren.

Städte- und Bauplanung soll die demografische Entwicklung, die Bevölkerungsstruktur und Vielfalt der Gesellschaft im Blick haben. Auch die Modernisierung der Häuser von privaten Kleineigentümer*innen wollen wir unterstützen.


Innovation für Boden, Material und Design
Neue Zeiten erfordern neues Bauen. Wir wissen um den Bedarf an neuen Wohnungen und die Knappheit des Guts Boden. Diesen Zielkonflikt wollen wir systematisch bearbeiten und streben langfristig das Netto-Null-Ziel an. Innen- vor Außenentwicklung ist hierfür ein wichtiger Baustein. Ein weiterer Beitrag dazu sind Ausschreibungswettbewerbe für Wohnbauprojekte, die mit Landesförderung entwickelt werden und bei denen es um die nachhaltigste und innovativste Lösung zur Realisierung eines Vorhabens geht.

Nachhaltigkeit beim Bauen und Sanieren heißt auch, das hohe Potenzial von Baustoffrecycling stärker in den Blick zu nehmen. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft und entwickeln Abfallwirtschaftspläne weiter hin zu einer Zero-Waste-Strategie. Nicht zuletzt deshalb wollen wir in Kooperation mit der Region Rhein-Main eine internationale Bauausstellung, die IBA Frankfurt/RheinMain, auf den Weg bringen. Sie soll das Problembewusstsein für die vielfältigen sozialen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen schärfen und zeitgemäße Lösungswege aufzeigen.